Frage: Als ich nach dem Einkaufen aus dem Supermarkt kam, sah ich, wie sich ein Mann an meinem Fahrrad zu schaffen machte. Er hatte das Schloss aufgebrochen und machte sich gerade daran, mit dem Fahrrad davon zu fahren. Ich rannte ihm hinterher, packte ihn an der Jacke und habe ihn vom Velo gerissen. Nun erhielt ich in der Post ein Schreiben des Gerichts, dass ich wegen Körperverletzung angeklagt werde. Habe ich mich tatsächlich strafbar gemacht?
Antwort: Vermutlich ja. In der Schweiz ist Selbstjustiz grundsätzlich verboten. Das bedeutet, dass der Staat das alleinige Recht hat, Gewalt gegenüber Personen und Sachen anzuwenden. Wer dagegen verstösst und durch seine Handlungen einen Straftatbestand erfüllt, macht sich strafbar. Nicht bestraft wird jedoch, wer sich auf einen sogenannten Rechtfertigungsgrund berufen kann. Mögliche Rechtfertigungsgründe sind etwa die Einwilligung bei einer Operation oder Notwehr. Notwehr liegt vor, wenn jemand ohne Recht angegriffen wird oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht wird. Die Abwehrhandlung muss sich gegen den Angreifer richten und zudem angemessen sein. Es muss immer das am wenigsten gefährliche Verteidigungsmittel gewählt werden. Natürlich hätten Sie nicht zusehen müssen, wie der Dieb mit Ihrem Fahrrad davonfährt. Sie hätten ihn vor Ort daran hindern dürfen. Indem Sie dem Fahrraddieb jedoch nachgerannt sind und ihn vom Fahrrad gestossen haben, so dass er sich schwer verletzte, haben Sie vermutlich den erlaubten Rahmen der Notwehr überschritten. Es droht Ihnen daher tatsächlich, dass Sie im Strafverfahren wegen einer Körperverletzung verurteilt werden. Gut zu wissen: So wie Sie sich selbst gegen unmittelbar drohende Angriffe wehren dürfen, so dürfen Sie auch anderen Personen helfen, die sich in einer Notwehrsituation befinden. Aber auch hier muss die angewendete Gewalt verhältnismässig zum Angriff sein.