Frage: Während den vergangenen sechs Jahren bezahlte mir mein Arbeitgeber mit dem Novemberlohn immer eine Gratifikation in der Höhe eines vollen Monatslohns aus. Dieses Jahr erhielt ich keine Gratifikation. Als ich beim Chef reklamierte, sagte er mir, das Geschäftsjahr sei schlecht ausgefallen. Er sei nicht zur Zahlung der Gratifikation verpflichtet, da im Arbeitsvertrag nichts davon stehe. Es handle sich um eine freiwillige Zahlung. Gehe ich tatsächlich leer aus?
Antwort: Nein. Die Gratifikation ist eine zusätzliche Vergütung als Anerkennung für geleistete Dienste oder Ansporn für eine zukünftige Tätigkeit und wird zusätzlich zum Lohn ausgerichtet. Die Gratifikation hat zwar grundsätzlich freiwilligen Charakter und steht damit im Ermessen des Arbeitgebers. Dieser kann die Gratifikation somit nach freiem Gutdünken ausrichten. Die Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass eine solche Zuwendung den freiwilligen Charakter verliert und sich zu einer geschuldeten Gratifikation wandelt, wenn sie mehrmals ohne Vorbehalt ausgerichtet wird. Will dies der Arbeitgeber verhindern, muss er jedes Jahr bei der Auszahlung ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Gratifikation eine freiwillige Leistung darstellt und nicht geschuldet ist. Es genügt also nicht, dass er bloss bei der ersten Auszahlung auf den freiwilligen Charakter seiner Zahlung hinweist. Im Weiteren besteht selbstverständlich unabhängig von den Auszahlungsmodalitäten dann ein Anspruch auf die Gratifikation, wenn diese im Arbeitsvertrag oder Gesamtvertrag geregelt ist. In Ihrem Fall wurde die Gratifikation während mehreren Jahren in der gleichen Höhe und ohne Vorbehalt regelmässig ausbezahlt. Sie haben deshalb einen festen Anspruch und können diesen nötigenfalls beim Arbeitsgericht durchsetzen.